„There’s always a lighthouse, a man, a city“: Amerika in BioShock Infinite

Die Vereinigten Staaten von Amerika – ein Land, das für das Weltgeschehen so relevant ist wie wenige andere. Ihm kommt seit jeher eine große Aufmerksamkeit zu, sei es nun politisch, historisch oder medial. So sind wir auch im Bereich Gaming mit einer Vielzahl von Videospielen vertraut, die ihren Schauplatz in die USA legen. Ob das Szenario fiktiv oder real ist, spielt dabei keine Rolle. Beispiele ließen sich hier vermutlich endlos auflisten, denkt zum Beispiel an Far Cry 5 oder The Division 2.

Aber wie stellen die jeweiligen Spiele das Land dar? Was verrät uns das Setting über die realen Bedingungen, die in den USA vorliegen? Kann man anhand einer Interpretation des Settings Rückschlüsse auf das Amerika der heutigen Zeit ziehen? Dieser Frage möchte ich im heutigen Artikel mit euch nachgehen. Als Grundlage habe ich eines meiner Lieblingsspiele herangezogen: BioShock Infinite aus dem Jahr 2013.

BioShock: Infinite for beginners

Für all jene unter euch, die mit dem Titel überhaupt nichts anfangen können: Ihr habt etwas verpasst und solltet dieses wunderbare Spiel unbedingt nachholen. Denn auch wenn BioShock Infinite eigentlich ein Shooter ist, überzeugt sein Plot vollkommen. Wir spielen Booker DeWitt, einen Privatdetektiv, der unter mysteriösen Umständen in die Stadt Columbia gelangt. Columbia repräsentiert dabei eine scheinbare Utopie Amerikas – gestützt von der Tatsache, dass sie wortwörtlich fliegt. Sie ist realisiert als eine fiktive Stadt in den Wolken, welche sich in einem alternativen Szenario der Realität von den USA abgespalten hat. Und warum das Ganze? Um die ursprüngliche Großartigkeit Amerikas zu erhalten und demonstrieren. (Kommt uns das nicht irgendwoher bekannt vor?) DeWitt verfolgt in Columbia das Ziel, die junge Elizabeth zu retten – und stößt dabei auf viele Probleme und Hindernisse. So viel zum Plot, ohne zu spoilern.

Die zwei Gesichter Columbias

In Columbia selbst ist jedoch nichts so, wie es scheint – das wird dem Spieler sehr schnell klar. Utopie und Dystopie liegen nicht weit auseinander, das merkt auch Booker bereits zu einem frühen Zeitpunkt seines Aufenthalts. In Columbia angekommen, erlangt er durch das Fenster einen Blick auf die farbenfrohe und lebendige Stadt. Die Verbindung zu Amerika könnte ausdrücklicher nicht sein, denn die dominanten Farben sind weiß, rot und blau – die originale Farbkombination des Landes. Auch die Namensgebung der Stadt verweist unmissverständlich auf amerikanische Grundwerte: Denn Columbia ist ihre weibliche Personifikation, quasi das weibliche Pendant zu good old Uncle Sam.

Der positive Eindruck einer amerikanischen Utopie wird jedoch schnell getrübt. Denn Booker erreicht die eigentliche Stadt nur durch ein religiöses Taufritual, in welchem er von einem Priester fast ertränkt wird. Nachdem sich durch dieses Ritual bereits erste Schattenseiten der Stadt offenbart haben, wechselt die Atmosphäre wieder zurück in die utopische Grundstimmung. So erkunden wir einen friedlichen Garten, in welchem uns wiederum eine Wertschätzung der amerikanischen Grundideen begegnet: Die Statuen der Gründerväter Washington, Jefferson und Franklin.

Nachdem wir den Garten verlassen, fällt relativ schnell auf, dass in Columbia der Jahrmarkt stattfindet. Auch dieser strotzt wiederum von amerikanischen Grundideen und Überzeugungen. Wenn man genau hinsieht, finden sich hier bereits dystopische Züge, vor allem in Bezug auf die Jahrmarktstände. (Ich meine, Regierungsgegner erschießen ist in meinem Verständnis jetzt nicht gerade die feine Art, mit der Opposition umzugehen.) Früher oder später werden wir dann mit einem Plakat konfrontiert, was aufhorchen lässt: Die Schafe Columbias sollten sich vor dem falschen Hirten in Acht nehmen, der am Brandmal „A.D.“ auf seiner rechten Hand identifiziert werden kann. Und wer hätte es gedacht? Genau dieses Brandmal findet sich auf Bookers rechter Hand. Ups, wir haben wohl ein Problem.

Welcome to the dark side, we have, ehm… crazy weapons!

Und natürlich eskaliert die Lage komplett – wer hätte es gedacht – und zwar bei der jährlichen Verlosung. Denn natürlich gewinnen wir die Verlosung und dürfen (oder eher müssen, das Spiel lässt uns keine Wahl) den ersten Ball auf ein Paar bestehend aus Afro-Amerikanerin und typischen Amerikaner werfen. Von dieser offensichtlich rassistischen Grundhaltung ausgehend verwandelt sich Columbia zu einer Dystopie – ausgelöst davon, dass wir als der falsche Hirte enttarnt werden. Ganz große Klasse. Denn jetzt ist plötzlich die gesamte Stadt hinter uns her – und zwar mit wirklich verrückten Waffen. Alle wenden sich gegen Booker und er ist nirgendwo mehr sicher – und so muss er von diesem Zeitpunkt an permanent vor seinen Verfolgern fliehen.

Während dieser Flucht entdecken wir all die dunklen Geheimnisse, die unter der scheinbar utopischen Decke Columbias schlummern. Diese reichen von offensichtlichem Rassismus, über die generelle Unterdrückung von Minderheiten, der Zwei-Klassen Gesellschaft bis hin zur Ausbeutung der Arbeiterklasse. So weit, so furchtbar. Das Columbia aus BioShock Infinite garantiert also die Erhaltung der amerikanischen Grundwerte, egal um welchen Preis. Die dystopische Seite der Stadt mit ihren geheimen Organisationen, der Ungleichheit und der Ungerechtigkeit kritisiert Amerika also in jedem Falle. Aber in welchem Ausmaß?

„wee shall be as a City upon a Hill“ – aber werden wir dem auch gerecht?

Ich denke, es dürfte bereits klar geworden sein, dass BioShock Infinite ganz offensichtlich jene Konzepte kritisiert, die in der Vergangenheit durchaus institutionalisiert waren. Denkt nur an die Auftrennung der Gesellschaft in zwei Klassen gemäß ihrer Hautfarbe, die ingame besonders deutlich durch die Verlosung dargestellt wird. Auch die Bruderschaft der Raben – eine ultra-religiöse Gruppe, deren Hauptziel es ist, die Reinheit der ‚Rasse‘ zu bewahren – erinnert stark eine eine Gruppierung, die in den USA für einige Zeit aktiv war. (Hust, Ku-Klux-Klan)

Auch andere Formen von Rassismus, vor allem gegen irische Einwanderer, sind in Columbia vorherrschend, wenn man genau hinsieht. In den Kinetoskopen in der Stadt wird offen propagiert, dass die irischen Einwanderer als billige Arbeitskräfte ausgenutzt werden können. Von wegen also life, liberty and the pursuit of happiness für alle.

Soweit, sogut. Es liegt also eine Kritik an den ehemaligen amerikanischen Werten vor. Aber welche Schlussfolgerungen lassen sich daraus auf das heutige Amerika anwenden? In Columbia herrscht das ganze Spiel über eine Atmosphäre, die von amerikanischer Überlegenheit gekennzeichnet ist. Und woher kennen wir das? Richtig, von der aktuellen Regierung. Slogans wie „America first!“ oder „Make America great again!“ repräsentieren genau die Idee, dass alle Augen auf Amerika liegen und sie „the city upon the hill“ sei. „America first“ ist damit nichts anderes als die uneingeschränkte Priorität der USA und ihrer Werte. Die Konsequenzen für die Umwelt sind komplett irrelevant.

„Life, liberty and the pursuit of happiness?“

Die Utopie Columbias ist letztlich also nur eine Illusion. Je mehr Booker die Stadt erkundet, desto deutlich wird ihm und uns als Spielern, dass sich diese Utopie – wenn überhaupt – für die Oberschicht ergibt, während die restliche Gesellschaft unter der Diskriminierung dieser Oberschicht leidet. Der zentrale amerikanische Wert, dass alle Menschen gleich geschaffen sind, ist somit mit Nichten erfüllt. All jene, die dem Kurs der Regierung nicht folgen, leben also in einer dystopischen Version Columbias. Auch auf das heutige Amerika bezogen lassen sich Parallelen erkennen, besonders die Hervorhebung der Einzigartigkeit Amerikas. Man könnte das Szenario auf die Spitze treiben und sich folgende Frage stellen: Könnte sich die Abspaltung Columbias vom Rest Amerikas nicht auch mit dem Wahlkampfziel vergleichen lassen, eine Mauer zwischen den USA und Mexiko zu errichten?

Auch wenn dieser Gedankengang unkommentiert bleibt, ermöglicht BioShock Infinite durch seine überzeichnete Darstellung Amerikas Kritik. Zum einen an den heute abgeschafften Konzepten der Vergangenheit, zum anderen an den Problemen, die teilweise heute noch in Amerika präsent sind.

Was denkt ihr dazu? Lasst es mich gerne in den Kommentaren wissen!

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